Schon lange hatte ich mir vorgenommen, diesen Artikel zu schreiben. Es ergab sich, dass unsere Freunde von der Zeitschrift „Partner» (Dortmund), mit denen ich schon mehrere Monate zusammenarbeite, sich mit der Bitte an mich wandten, über die Geschichte der Ulanen zu berichten. So kam es dazu, dass dieser Artikel Anfang Januar in „Partner» erschien und jetzt bieten wir ihn auch unseren Lesern in ungekürzter Fassung an.

Die Verfasserin

Wie viele unerwartete Entdeckungen verheißen uns die vergessenen Seiten der Vaterlandsgeschichte… Wie oft werden die Ursprünge heutiger Ereignisse erst nach der Analyse aus historischer Perspektive verständlich. Ich erinnere mich daran, wie ich — damals 8 Jahre alt — zum ersten Mal das Poem von M. Lermontov „Borodino» las, und seit jener Zeit kommen mir nicht selten einige Zeilen in den Sinn: „Ulanen mit bunten Abzeichen, Dragoner mit Pferdeschwänzen. Alle fliegen an uns vorbei, alle waren da.» Warum eigentlich Ulanen, woher kommt überhaupt diese Gattung der Kavallerie – Ulanen?

Militärgeschichte ist an sich eine interessante Sache, aber ich, als Tochter meines Volkes, war immer neugierig: Wie sah wohl der Beitrag der Vertreter unseres Stammes zur Geschichte des Russländischen Staates aus? Ich erhebe keinen Anspruch weder auf die absolute Wahrheit in höchster Instanz noch auf die exakte Wissenschaftlichkeit dieser Arbeit – das ist das Los von Wissenschaftlern und Spezialisten, und ich erzähle einfach das, was mir aus verschiedenen seriösen Quellen bekannt wurde und worüber ich anderen etwas mitteilen könnte.

Bis heute sind sich sowohl Historiker, als auch Vertreter auseinanderlaufender Ansichten nicht einig darüber, ob es das berüchtigte Joch in Rus’ gab oder nicht, ob es positiv oder negativ für die Entwicklung des Landes war. Das ist ein Thema für weitere Berichte und Artikel. Aber schon zu Beginn muss man bemerken, dass es ohne die militärische Organisation der Goldenen Horde, deren Armee während ihrer Blütezeit keiner gleich kam, es später kein starkes russisches Heer gegeben hätte, das die Tradition der Formation militärischer Kräfte von der Goldenen Horde übernahm. Außerdem trugen bewaffnete Zusammenstöße jener Zeit keinen ethnischen Charakter, es handelte sich um Fehden, an denen sich russische und tatarische Regimente von den beiden Seiten beteiligten. Nur wenige wissen, dass im Heer von Dmitri Donskoj auf dem Kulikowo Feld Tataren seinen kampffähigsten Teil bildeten – die Kavallerie, die über den Ausgang der Schlacht am 8. September 1380 entschied. Später kamen aus der Horde viele heldenmütige Krieger nach Rus’, die dem russischen Fürsten aufrichtig und ehrlich dienten. P. Sawitzki schrieb an L Gumiljow: „… der großrussische Adel, der bei der Bildung des großen Russischen Staates eine enorme Rolle spielte, bestand… aus 40 und sogar mehr Prozent aus den Nachkommen… von Mirsen, Fürsten und ihrer Dienerschaft.» Direkte Nachfahren von Tschingis-Khan waren russische Strelitzen.

Und die Ulanen – woher rührt ihr Anfang? Für die Ulanen muss man den polnisch-litauischen Tataren dankbar sein. Die Geschichte der polnisch-litauischen Tataren geht bereits auf mehr als sechshundert Jahre zurück, auf das 14. Jahrhundert, als Auswanderer aus der Goldenen Horde zum litauischen Großfürsten kamen, um hier ihren Militärdienst zu leisten, und sich auf diesem Territorien ansiedelten. Im Großen und Ganzen setzten viele Herrscher die natürliche Fähigkeit der Tataren als gute und erfahrene Krieger ein. Eben die Tataren legten den Grundstein für die Formation der leichten Kavallerieart – den Ulanen. In Polen existierten Ulanenregimente bis zum Anfang des 2. Weltkrieges. Im 18. Jahrhundert wurden Ulanentruppen in Österreich und Preußen aufgestellt, und am Anfang des 19. Jahrhunderts hat Napoleon Ulanen in der französischen Garde aufgestellt.

Es gibt einige Interpretationen des Wortes „Ulan». So erinnert sich General Jusef Sojonchak (1794) an folgendes: „Litauen hatte einige tatarische Regimenter… Diese Regimenter nannte man gewöhnlich „Ulanenregimenter» nach dem Namen einer der Krieger, der während der Regierung von Stefan Batory Ruhm erlangte.»

Aus dem Tatarischen übersetzt man dieses Wort als „Prima Bursche» oder „Prachtkerl». Aber dieses Wort kann man auch aus dem Blickpunkt der Linguistik und der Geschichte erklären: In der Goldenen Horde war Ulan (Oglan) ein Titel für die Nachkommen von Tschingis-Khan; in Türksprachen bedeutet das Wort „ulı, oğlı, oğlu» „Sohn», und in fremden Ländern trugen die Fürsten diesen Titel. In Polen hatten damals die Fürsten Assanczukowicz, Fursowicz, Maluszycki und Rudnicki den Titel des Ulan. Mit der Zeit machte ein Zweig des Geschlechts Assanczukowicz diesen Titel zum Familiennamen. Viele verdiente Offiziere stammten aus dieser Familie. Besonders bekannt ist der Rittmeister Alexander Ulan. Für seine Verdienste erhielt er den Rang des Oberst und genoss die besondere Zuneigung des Königs August III. Während des Bürgerkrieges (1715 – 1716) war Ulan auf der Seite des Königs und kämpfte gnadenlos gegen seine Feinde. Für seine Treue wurde das ganze Regiment auf Befehl des Königs in die polnische Armee versetzt, wo es die Funktion der Königsgarde ausübte. Das erste Ulanenregiment in der Geschichte wurde 1733 in der Armee der Rzeczpospolita aufgestellt, und sein erster Kommandeur war Alexander Mustafa Korycki.

Nicht weit von Leipzig, in Sachsen, steht schon seit mehr als 200 Jahren ein Denkmal aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges. Es handelt sich um das Denkmal auf dem Grab eines tapferen Kriegers, eines polnischen Tataren; die Schrift auf ihm lautet: „Mustapha Sulkowicz, Tatare, Oberleutnant im Ulanenpulk des Obersten von Schiebel, wurde am 1. Juli 1762 in einem Gefecht bei Reichstadt erschossen und von seinen Ulanen nach tatarischer Sitte bestattet.»

In Russland wurden Ulanen als eine neue Art der leichten Kavallerie in der Zeit der Regierung von Alexander I. aufgestellt, wobei er Lanzenträger auswechselte, die ihrerseits von Pavel I. aus Polen und aus polnisch-litauischen Tataren aufgestellt worden waren. Tatarische Traditionen ließen auch in der Ulanenuniform von sich künden: in allen Ländern hatten Ulanen eine viereckige Kopfbedeckung, die einer tatarischen ähnelte. Wenn man Gemälde betrachtet, die der Borodinoschlacht gewidmet sind, kann man die Ulanen mit Leichtigkeit von den Vertretern anderer Arten des Heers unterscheiden – ihre Ausrüstung war nicht so prachtvoll wie bei den Husaren, aber teuer genug: die Ulanenkopfbedeckung mit einer breiten Tresse, die Ulanenuniform mit Stickerei und breiten Hosenstreifen aus dem teuersten roten Tuch. Solche Hosenstreifen hatten weder Dragoner noch Husaren.

Apropos, ruft man sich die berühmteste Frau der russischen Armee in Erinnerung, die als erster weiblicher Offizier und Ordonnanz von Kutusow bekannt ist, die Kavalleristin Nadeshda Durowa, dann muss man wissen, dass auch sie im Konnopel-Ulanenregiment gedient hat. An diese Details erinnerte ich mich nicht, erst später schaute ich im Lexikon nach. Aber als ich das Haus von Durowa, das jetzt ein Museum ist, in Jelabuga besuchte (erstaunlich ist die Tatsache, dass Nadeshda Durowa ihr weiteres Leben mit diesem tatarischen Land verband, als hätte die tatarische Kühnheit der Ulanen ihr nie Ruhe gegeben), wo sie die folgenden Jahrzehnte ihres Lebens verbrachte (ich selbst hatte das Glück, fünf Jahre in dieser märchenhaften Stadt zu wohnen), und ich ihre Wachsfigur in der Uniform sah, erkannte ich sofort die viereckige Ulanenkopfbedeckung und die bekannten Ulanenhosenstreifen.

Und jetzt zurück zu der Zeit, in der die Ulanenregimente in Russland aufgestellt wurden. 1803 gilt als das Jahr der Aufstellung des ersten Ulanenregiments in Odessa, zu der Zeit, als Zar Alexander I. an der Macht war. Er diktierte der Militär- und Kriegswissenschaft neue Bedingungen, folglich war das Bedürfnis an Regimenten dieser Art offensichtlich. Nebenbei gesagt bekam dieses Regiment den Namen „Leib-Ulanengarde Seiner Hoheit des Zarensohns Konstantin Pawlowitsch». Die erste Feuertaufe hatte das Regiment in der Austerlitz-Schlacht, danach erhielt es die Rechte der ehemaligen Garde. Kurz vor dem Vaterländischen Krieg 1812 wurde das Regiment wieder aufgestellt, diesmal als Leib-Garde Ulanenregiment, zusammen mit der Leibgarde Dragunenregiment unter dem Kommando des Fürsten Jengalytschew, einem Nachfahren tatarischer Fürsten.

1812 gab es in der russischen Armee insgesamt sechs Ulanenregimente: das eine war die Leibgarde Ulanenregiment und es gab weitere fünf Armeeregimente (Tatarisches, Polnisches, Litauisches, Wolynsker, Tschugujewsker). Früher meinte man, die Anrede mit dem Wort „Genosse» wurde 1917 von den Bolschewisten eingeführt, aber im Tatarischen Ulanenregiment diente eben dieses Wort „Genosse» als Anrede für die Mannschaften des Regimentes. Die Rekruten nannte man „Anwärter für die Genossen» — so war das!

Heldenmütig und tapfer kämpften die Krieger der Ulanenverbände auf den Schlachtfeldern des Vaterländischen Krieges. Im Buch von S. Achmetschin und S. Nasserow „Pflicht, Mut, Ehre», das der Geschichte tatarischer Militärverbände in der Russischen Armee und der Kaisergarde gewidmet ist, lesen wir: „Am 29. September machte sich die Avantgardeabteilung der russischen Truppen unter dem Kommando von G. Tschitschagow auf den Weg nach Brest, wo sich noch ein Teil der Gegnertruppen befand. Als die Franzosen sahen, dass das Regiment antrat, verließen sie ihre Kampflinien und flohen nach Polen mit dem Geschrei: „Tatarische Ulanen! Tatarische Ulanen!». So betrat das Tatarische Regiment die Stadt Brest, ohne zu kämpfen.

Beim Einholen der Napoleonischen Truppen wendeten die Ulanen die uralte Taktik der Krieger der Goldenen Horde an: diese Kavallerie war leicht und nicht einzuholen, das war ihr Vorteil, sie fügten dem Gegner die sog. „Dolchstöße» zu und fluteten sofort zurück. Schwer ist es, den Zustand der Franzosen zu beschreiben, die ständig von hinten von Kutusow gejagt wurden und ohne Ende solchen Attacken der Ulanen ausgesetzt waren. Die Armee Napoleons verringerte sich vor den Augen aller.

Im Kampf von Ferchampenois bei der Eroberung von Paris waren die Ulanen unter dem Kommando des polnischen Tataren Graf Osharowski wieder einige der Besten.

Im Allgemeinen würdigten viele europäische Monarchen das Naturtalent der Tataren, verwegene Krieger zu sein, deshalb trafen Tataren auch in den Napoleonkriegen an beiden Seiten der Front aufeinander. 1812 wurden in Polen tatarische Regimente aufgestellt, die in der Armee Napoleons kämpften. Sogar im Jahr 1813, als Napoleon gestürzt und entthront wurde und die meisten Regimente und Schwadronen sich schon lange entweder nicht mehr an den Schlachten beteiligten oder gänzlich in die russische Armee übertraten, blieb eine Schwadron tollkühner Bonapartisten auf der französischen Seite. Und da gibt es etwas, worüber man sich wundert: Ende August kämpfte diese Schwadron bei Dresden gegen die russische Armee und trat gegen die Kasaner Landwehr! Der tapferste und tollkühnste Kämpfer dieser Kämpfer war ein Mann mit dem Namen… Samuel Ulan! Aber natürlich – Ulan! Er war Ehrenlegions-Ordenträger, während der Borodino-Schlacht kämpfte er in der Murat-Kavallerie. Und hier taucht eine ganz unerwartete Tatsache auf: die Ahnen von Murat waren auch Auswanderer aus der Großen Steppe Descht-i-Kyptschak! Wie unvorhersehbar ist doch die Geschichte – bei der Offensive der Napoleon-Armee betraten die Murat-Kavalleristen, mit Samuel Ulan an der Spitze, Moskau als die Ersten. Später kehrte Ulan in die russische Armee zurück, aber sein Kampfgeist gab ihm keine Ruhe und ließ es nicht zu, den Dienst zu beenden und ehrenhaft in den Ruhestand zu treten: 1831 beteiligte er sich am polnischen Aufstand und fiel im Kampf gegen die Truppen des Zaren…

Viele ruhmreiche Facetten brachten tatarische Regimente der Militärgeschichte ein, und das waren nicht nur Ulanen. So gab es vor dem Ersten Weltkrieg in der russischen Zarenarmee mehr als 20 Generäle, die Tataren waren und aus Polen und Lettland stammten, z.B. Tamerlan Beljak, Josef Jakubowicz, Mazej Sulkiewicz, Halil Basarewski… Nach der Revolution dienten polnische Tataren dem Lande weiter, das für sie zur Heimat wurde – sie blieben Verteidiger Polens. Noch in den 20er Jahren, in Anlehnung an die historischen Traditionen, wurde das Tatarische Regiment, die Muslimische Division und die Ulanen-Schwadron aufgestellt. Das tatarische Ulanen-Regiment hatte den Namen von M. Ahmatowicz, alle nannten es „die tatarische Reiterei», und alle Soldaten dieses Regimentes, unabhängig von ihrer Nationalität, nannte man „Tataren». Wir erwähnten schon einmal, dass tatarische Ulanen ihre eigene Uniform hatten, die sie unter den Vertretern anderer Regimenter auszeichnete. Tatarische Ulanen hatten sogar ihr eigenes Lied im Regiment:

 Wir sind die Tatarische Kavallerie, Halbmond und Stern,

auf den Altar legten wir unser Leben, auf den Altar, auf den Altar…

 Veteranen des Regiments, alte, erfahrene Kämpfer, berichteten über die Heldentaten ihres Regiments und trugen dazu bei, dass viele Legenden geboren wurden, die dann lange von einer Generation in die andere übergeben wurden. Dieses letzte Regiment der Ulanen existierte bis zum zweiten Weltkrieg. Als Hitler im September 1939 in Polen einmarschierte, nahmen tatarische Verbände ebenso wie reguläre Regimente der polnischen Armee am Kampf teil, aber am längsten kämpfte eben diese tatarische Schwadron. Ende September, als das ganze Polen schon besetzt war, wurde die Entscheidung getroffen, die Schwadron aufzulösen. Einige der Ulanen-Offiziere gerieten in Kriegsgefangenschaft. Aber diejenigen tatarischen Kämpfer, die überlebten oder flohen, setzten später ihren Kampf gegen Hitler in verschiedenen europäischen Widerstandsbewegungen fort.

Es ist sicher offensichtlich, dass sich Muslime und Tataren an der Heimatverteidigung sehr aktiv beteiligten, sei es Russland, Polen oder Lettland. Spricht man über Russland, darf man die Rolle der muslimischen Völker aufgrund der Idee über die Gestaltung des Landes mit einer Sprache, einer Kultur nicht verschweigen. Besonders wichtig ist es heutzutage, in diesen unruhigen Tagen, da manch hitzige Köpfe den russischen Staat als „Völkergefängnis» einerseits vorzustellen versuchen, und andererseits als das Land „nur für Russen». Wir sind keine Russen, doch sind wir Russländer. 

 Venera Vagizova, Berlin 

  In russish mit Illustrationen